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Wer war Hubert Jedin?


Wer war Hubert Jedin?

Im November 1991 veröffentlichte die Homiletic and Pastoral Review in den Vereinigten Staaten ein Memorandum von Hubert Jedin, das er 1968 verfasst hatte. Im englischsprachigen Raum wussten jedoch Viele nicht, wer dieser Mann war und welchen Beitrag er für die Kirche geleistet hat. Hier folgt eine kurze Skizze seines Lebens.

Der vielleicht herausragendste Kirchenhistoriker der katholischen Welt starb am 16. Juli 1980 in Bonn, damals Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Er wurde am 17. Juni 1900 in Grossbriesen bei Breslau in Oberschlesien geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Gebiet polnisches Territorium. Die Stadt heißt heute Wrocław. Er wurde am 2. März 1924 zum Diözesanpriester geweiht und arbeitete zunächst zwei Jahre in einer Pfarrei. Gegen Ende seines Lebens wurde ihm der Titel „Monsignore“ verliehen.

Am 1. September 1933 entzogen ihm die deutschen Behörden seine akademische Zulassung wegen seiner Abstammung. 1936 wurde er zum Archivar der Erzdiözese Breslau ernannt. Weil seine Mutter eine katholische Konvertitin jüdischer Abstammung war, verhaftete die Gestapo 1938 Pfarrer Jedin. Es gelang ihm jedoch, freizukommen und Deutschland am 1. November 1939 zu verlassen. Die nächsten zehn Jahre (1939-1949) verbrachte er in Rom und forschte still und unauffällig an der Geschichte des Konzils von Trient. Er wurde zum anerkannten Experten dieses Gebietes. Er verwendete nur die Originaldokumente aus den Archiven.1 Er hatte Glück: Freunde wie Karl August Fink halfen ihm, seine wissenschaftlichen Papiere aus Deutschland zu holen. Die brauchte er in Rom, als er am Campo Santo Teutonico innerhalb des Vatikanstaates lebte.

Diese gründliche und originelle Untersuchung des primären Quellenmaterials führte zur Veröffentlichung von vier großen Bänden der „Geschichte des Konzils von Trient“. Zwei davon sind bisher in Englisch erschienen.2 Einige kleinere Studien von ihm sind ebenfalls bekannt. Eine, die 1937 erschienene „Papal Legate at the Council of Trent: Cardinal Seripando3 erschien 1947 in englischer Sprache. Weitere Studien waren Tommaso Campeggio (1958), Carlo Borromeo (1971) und Kardinal Caesar Baronius (1978) gewidmet. Sein Leben lang war er Spezialist für Konzile, insbesondere das tridentinische. Eines seiner Werke behandelte dessen Abschluss: „Der Abschluss des Trienter Konzils 1562/63“ (1964).4

Nach der Ankündigung eine ökumenischen Konzils (1959) durch Papst Johannes XXIII., Roncalli, veröffentlichte Jedin im selben Jahr seine „Ökumenischen Konzile der Katholischen Kirche: Ein historischer Abriss“ (ET 1960). Etwas später, als das II. Vatikanum bereits tagte, folgte im Jahr 1964 das bereits erwähnte Werk „Krise und Abschluss des Konzils von Trient“ (ET 1967). Die beiden Schriften sollten Seminaristen und an der Kirchengeschichte interessierten Studenten eine Perspektive bieten, was ein ökumenisches Konzil der katholischen Kirche bedeuten sollte.

Bei alledem war Jedin auch Generalist. Er initiierte die große zehnbändige Reihe „History of the Church“ unter seiner Redaktion. Ursprünglich als Text für Studenten gedacht, wurden die Bände bald ausführlicher und detaillierter. Man nannte diese Serie den „Fliche-Martin5 unserer Zeit“, heute ein Standardwerk. Es erschien in sieben Sprachen fast gleichzeitig mit dem deutschen Original. Der zehnte Band wurde schließlich 1981, ein Jahr nach seinem Tod, ins Englische übersetzt. Eine Kurzfassung der ersten drei Bände durch D. Larrimore Holland erschien 1992 in Englisch. Die Einleitung zum ersten Band allerdings erläutert seinen Antrieb und sein wissenschaftliches Vorgehen: Kirchengeschichte muss aus Sicht des Glaubens betrieben werden. So Jedin der Katholik, nicht nur der Gelehrte.

Ein weiteres von ihm betreutes Projekt war die kartografische Kirchengeschichte, der „Atlas zur Kirchengeschichte. Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart“, 1970 in Deutschland erschienen.

Jedin musste seine Arbeit für vier Jahre, 1962-1965, einstellen, um als Peritus6 beim Zweiten Vatikanischen Konzil zu dienen. Nur sehr wenige Konzils-Historiker dürfen selbst am Konzil teilnehmen! Kein anderer ist mir bekannt, der dieses seltene Privileg hatte. Dies erklärt auch die lange Unterbrechung zwischen der Veröffentlichung der ersten beiden Bände über das Tridentinum (1949, 1957) und der beiden weiteren Bände (1970, 1975).

Von 1949 bis 1965 war Jedin Professor in Bonn. Vor und nach diesen Jahren erhielt er sechs Ehrendoktortitel, darunter einen der Universität Löwen, und viele andere internationale Auszeichnungen und Einladungen. 1970 hatte ihm Papst Paul VI den Posten des Präfekten der Vatikanischen Bibliothek angeboten, den Jedin wegen seines Alters und der zunehmenden Schwäche ablehnte. Schon 1951 hatte Pius XII. ihn zum Vizepräfekten der Vatikanischen Bibliothek ernennen wollen. Er hatte jedoch bereits damals abgelehnt und zog vor, Wilhelm Neuss auf dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Bonn zu folgen. Der schlechte Gesundheitszustand in den 1970er Jahren hinderte ihn dann doch daran, die gewünschten Fortschritte zu erzielen. Zum Glück blieb am Ende aber keines seiner geplanten Werke unvollständig.

Das autobiografische Buch „Lebensbericht“ erschien 1984 posthum. Es war nicht der erste Versuch dieser Art. Seine frühe Jugend war bereits als „Eine Jugend in Schlesien 1900-1925“ vorgestellt worden und wurde 1979 im Archiv für schlesische Kirchengeschichte veröffentlicht. Dieses Buch über sein späteres Leben umreißt seine berufliche Karriere und Produktivität. Es waren nicht etwa primär persönliche Reflexionen oder ein spirituelles „Tagebuch einer Seele“. Dennoch gab es in den Vereinigten Staaten negative Kritiken: Man sagte, Jedin sei gegen Ende seines Lebens erschrocken und traurig geworden, weil er glaubte, das Zweite Vatikanum sei entweder auf tragische Weise missverstanden oder gar verraten worden.

Er teilte zu diesem Thema den westdeutschen Bischöfen kurz nach dem Katholikentag 1968 in Essen offen seine Meinung mit.7 Diese Veranstaltung schien ihm den Widerstand gegen Humanae vitae ganz besonders zu fördern. Basierend auf seinen Kenntnissen des Tridentinums und des Vorgehens bei der Reformation, veranschaulichte er ihnen einen ähnlichen Prozess, der im postkonziliären 20. Jahrhundert ablief. Dem aufmerksamen Leser war nie entgangen, dass der Untertitel von „Krise und Abschluß des Konzils von Trient“ lautete „ein Rückblick zum Zweiten Vatikanischen Konzil“. Die Übersetzung dieses Memorandums kam, vielleicht etwas spät, zunächst der englischsprachigen Leserschaft zugute.8 Es war eine ungewöhnliche „Aktivistenintervention“ eines Mannes, der sein ganzes Leben lang ein reiner und fast zurückgezogener Fachmann gewesen war.9

Rev. Brian Van Hove, SJ Dezember 1993;2016;2019

Überarbeitung eines kürzeren Artikels, der in The Fellowship of Catholic Scholars Newsletter, vol. 16, nr. 1 (Dezember 1992) 19-20 erschien. Übersetzt 2019 ins Deutsche von Thomas Jury und Jochen Michels.

1Der Archivar und sein Freund, Msgr. Hermann Hoberg (1907-1992) assistierten bei der Aufgabe, insbesondere in den Kriegsjahren. Später war Hoberg von 1956 bis 1979 Vizepräfekt des „Archivio Segreto Vaticano“.

2Dies war mehr als anspruchsvoll. Andere vor ihm hatten es versucht, insbesondere Vincenz Schweitzer.

3Der päpstliche Legat beim Konzil von Trient: Kardinal Seripando

4Eine Sammlung von etwa sechzig seiner Hauptartikel wurde 1966 in zwei Bänden als Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte gedruckt. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge (Freiburg,Brsg.-Basel-Wien: Herder). Einige dieser Artikel befassen sich mit Philosophie und Natur der Arbeit eines Kirchenhistorikers. Andere enthalten kurze bis mittelgroße Biografien von Hauptfiguren.

5Siehe Augustin Fliche und Victor Martin, Histoire de l’Église depuis les origines jusqu’à nos jours, vols. I-XXI (Paris: Bloud & Gay, 1934-1952); E.T. Eine Geschichte der katholischen Kirche (London-St. Louis, 2. Aufl. 1956). Diese Serie war ursprünglich in 26 Bänden geplant, wurde aber nie fertiggestellt. Es sollte andere mehrbändige Werke wie das Fernand Mourret Histoire Générale de L’Église übertreffen. Martin starb 1945 und Fliche 1951. Zwischen dem Erscheinen des ersten Bandes im Jahr 1934 und dem Todesjahr von Fliche wurden nur siebzehn Nummern veröffentlicht, von denen fünfzehn von Fliche persönlich herausgegeben wurden. Die Redaktion wurde von J.B. Duroselle und E. Jarry fortgesetzt. 1952 schrieb Roger Aubert Band 21 und veröffentlichte ihn 1964 erneut als Vatikan I. Diese Bände folgten nicht streng aufeinander: Band 19 erschien 1955; Band 19, Teil II, 1956; Band 18 im Jahr 1960; Band 14 von 1962; und sein Teil II erst 1964. Einige Jahre später veröffentlichte ein italienisches Team Band 22, der nicht in französischer oder englischer Übersetzung verfügbar ist. Werke dieses Umfangs sind so anspruchsvoll, dass sie in unserer Zeit der Spezialisierung fast unmöglich sind. Dennoch gilt die Sammlung „Fliche-Martin“ für die allgemeine Kirchengeschichte als Klassiker.

6Theologischer Konzilsberater

7Holmes sagt uns: „Das erste Treffen einer Versammlung deutscher Katholiken, der Katholikentag, fand 1848 in Mainz statt. Dieser Kongress hatte sich gegen die letzten Überreste des Josephinismus oder gegen jedwede Bewegung zur Errichtung einer nationalen Kirche in Deutschland gewandt. Der Katholikentag forderte Freiheit, „die katholischen Prinzipien in das gesamte Leben einzuführen und für eine Lösung des sozialen Problems zu arbeiten“. Die damaligen deutschen Katholiken wurden sich ihrer Rechte und ihrer Stärke bewusster und ultramontaner, aber nicht klerikaler. Der Katholikentag, der sich dann jährlich traf, bot ein naheliegendes Forum für die Erörterung sozialer Fragen. Diese Betonung sozialer Probleme wurde durch die Gründung des Volksvereins und durch Treffen katholischer Arbeiter weiter angeregt.“ Aus J. Derek Holmes, Der Triumph des Heilige Stuhl: Eine kurze Geschichte des Papsttums im 19. Jahrhundert, (London: Burns and Oates, 1978) 174. Der 92. Deutsche Katholikentag fand 1994 in Dresden statt.

8Mindestens einmal wurde es jedoch in gedruckter Form erwähnt, allerdings ohne den vollständigen Text anzugeben. Siehe Robert A. Graham, SJ, in seiner Kolumne „Vatikan“, in der Zeitschrift Knights of Columbus Columbia, als „Nebenergebnis des Zweiten Vatikanums: Gibt es einen bevorstehenden Abfall vom Glauben?“, Vol. LXV, nein. 7 (Juli 1985) 4.

9Möglicherweise war das einzige andere Mal seine öffentliche Kontroverse mit Erzbischof Annibale Bugnini über die Frage der Liturgie. Jedin veröffentlichte 1969 in L’Osservatore Romano einen Angriff auf den Reformprozess. Bugnini hatte auch einen Konflikt um die Liturgie mit Louis Bouyer. Für Bugninis Bericht siehe Die Reform der Liturgie 1948-1975 von Annibale Bugnini, tr. Matthew J. Connell (Collegeville, MN: The Liturgical Press, 1990) 283-284.